Dienstreisen: Reisezeit oder Arbeitszeit?

Rechtsbücher IIDienstreisen sind immer mehr Bestandteil der “normalen” Tätigkeitsanforderungen. Dabei stellt sich regelmäßig die Frage, ob der Arbeitgeber Dienstreisen einseitig anordnen kann, wie Reisezeiten arbeitszeitrechtlich einzuordnen sind, und ob der Arbeitgeber die über die reguläre Arbeitszeit hinausgehenden Reisezeiten vollständig vergüten muss. Vorliegend werden die arbeitszeitrechtlichen und vergütungsrechtlichen Aspekte von Reisezeiten erläutert.

1. Muss ein Arbeitnehmer Dienstreisen unternehmen?

Nicht jeder Arbeitnehmer ist zu Dienstreisen bereit. Eine Verpflichtung des Arbeitnehmers, Dienstreisen zu unternehmen, besteht unproblematisch nur bei einer ausdrücklichen Regelung im Arbeitsvertrag. Daneben kann der Arbeitgeber aufgrund seines Weisungs- und Direktionsrechts eine Dienstreise anordnen, wenn diese im Zusammenhang mit der vertraglich geschuldeten Tätigkeit des Arbeitnehmers steht. Diese Anordnung ist aber unzulässig, wenn hierdurch die Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers einseitig geändert wird.

2. Gesetzliche Regelung zur Arbeitszeit?

Die gesetzliche Grundlage zur Regelung der Arbeitszeit ist das Arbeitszeitgesetz (ArbZG). Danach darf die werktägliche Arbeitszeit acht Stunden nicht überschreiten. Ausnahmsweise kann sie auf bis zu zehn Stunden verlängert werden, wenn innerhalb von sechs Kalendermonaten oder innerhalb von 24 Wochen im Durchschnitt acht Stunden werktäglich nicht überschritten werden. Nach Beendigung der täglichen Arbeitszeit ist eine ununterbrochene Ruhezeit von mindestens elf Stunden zu gewähren (§§ 3, 5 ArbZG).

Beispiel: Ein in Leipzig tätiger Arbeitnehmer soll an einer ganztägigen Besprechung am Münchner Standort teilnehmen. Er tritt die Dienstreise um 7 Uhr an und ist erst wieder gegen 21 Uhr in Leipzig. Die höchstzulässige Arbeitszeit von 10 Stunden/Werktag würde überschritten, sofern die Reisezeiten als Arbeitszeit zu werten sind.

Arbeitszeit ist definiert als die Zeit vom Beginn bis zum Ende der Arbeit ohne Pausen. Bei der zulässigen Höchstarbeitszeit brauchen Fahrzeiten daher prinzipiell nicht berücksichtigt werden. Daher muss der Arbeitgeber bei Dienstreisen zwischen Wege-/Reisezeit und Arbeitszeit differenzieren.

  • Wegezeiten sind alle während der Arbeitszeit, innerhalb oder außerhalb des Betriebsgeländes aus betrieblichem Anlass unternommenen Wege innerhalb der Gemeindegrenzen des Betriebsorts.
  • Reisezeiten sind dagegen alle unabhängig von der betrieblichen Arbeitszeit auf Anordnung des Arbeitgebers unternommenen Reisen außerhalb der Gemeindegrenzen des Betriebsorts.

 

3. Stellen Wegezeiten Arbeitszeit dar?

Keine Wegezeiten sind die Zeiten von der Wohnung zum Arbeitsplatz. In dieser Zeit steht der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber nicht zur Verfügung. Wegezeiten gelten in folgenden Fällen als Arbeitszeit:

  • Wegezeit von der Wohnung zu einer außerhalb des Betriebs gelegenen Arbeitsstelle für die Zeit, die über die Wegezeit Wohnung-Betrieb hinausgeht.
  • Betriebsbedingte Wegezeiten vom Betrieb zu außerhalb des Betriebs gelegenen Arbeitsstellen (z.B. vom Bauhof zum Ort der Montage, oder von Kunde zu Kunde) sind Arbeitszeit im Sinne des ArbZG und daher bei der Berechnung der Höchstarbeitszeit zu berücksichtigen.

 

4. Wann sind Reisezeiten als Arbeitszeit einzuordnen?

In folgenden Fällen stellen Reisezeiten Arbeitszeit dar:

  • Reisen ist Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers (z.B. Lkw-Fahrer, Taxifahrer);
  • Reisen ist Voraussetzung für die Erbringung der Hauptleistungspflicht (z.B. Handelsvertreter, Pharmareferent).

Nach der Beanspruchungstheorie ist Reisezeit Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer während dieser Zeiten in einem Umfang beansprucht wird, der eine Einordnung als Arbeitszeit erfordert. Dieses ist dann gegeben:

  • Der Arbeitnehmer muss während der Dienstreise seine arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht erfüllen (z. B. Vorbereitung einer Präsentation, Führen von Telefonaten, Verfassen von E-Mails etc.). Steht es dem Arbeitnehmer frei, wie er diese Zeit nutzt (ausruhen, lesen), handelt es sich um Ruhezeit im Sinne des ArbZG.
  • Das Steuern eines Pkw beinhaltet bei den heutigen Verkehrsverhältnissen nicht unerhebliche physische und psychische Belastungen für den Arbeitnehmer und ist daher als Arbeitszeit zu qualifizieren.

Liegt Arbeitszeit vor, ist der Arbeitgeber verpflichtet, bei Überschreiten der höchstzulässigen Arbeitszeit einen zusätzlichen Freizeitausgleich zu gewähren.

 

5. Sind Reisezeiten vom Arbeitgeber zu vergüten?

Die Frage nach der Vergütung ist unabhängig von der arbeitszeitrechtlichen Einordnung. Ob Reisezeiten zu vergüten sind, richtet sich nach den Regelungen im Arbeitsvertrag. In folgenden Fällen muss eine Vergütung erfolgen:

  • Die Reisetätigkeit stellt die arbeitsvertraglich geschuldete Hauptleistung des Arbeitnehmers dar (z.B. Reiseleiter, Taxifahrer);
  • Die Reisetätigkeit ist keine arbeitsvertragliche Hauptleistungspflicht des Arbeitnehmers, jedoch zwingende Voraussetzung für die Erfüllung seiner Tätigkeit (z.B. Handelsvertreter);
  • Falls eine vertragliche Regelung fehlt, gilt eine Vergütung als stillschweigend vereinbart, wenn die Dienstleistung den Umständen nach nur gegen eine Vergütung zu erwarten ist.

Allerdings kann der Arbeitnehmer die vollständige Vergütung von Reisezeiten nicht in jedem Fall erwarten. Entscheidend sind die Umstände des jeweiligen Einzelfalls. Bei einem leitenden Angestellten oder bei einer sonstigen gehobenen Position kann eine Vergütungspflicht ausscheiden. Das gilt insbesondere, wenn das Gehalt des Arbeitnehmers deutlich oberhalb der allgemeinen durchschnittlichen Bezahlung der übrigen Beschäftigten liegt. Ebenso scheidet eine Vergütungspflicht aus, wenn abweichende Regelungen getroffen wurden. Zur Vermeidung von Streitigkeiten über die Vergütung von Reisezeiten ist es sinnvoll, rechtzeitig verbindliche Vereinbarungen im Arbeitsvertrag zu treffen.

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

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