Nachbarrecht: Verfassungsbeschwerde gegen Bußgeld wegen Klavierspiels erfolgreich

Das Klavierspielen an Sonn- und Feiertagen kann nicht automatisch als Ruhestörung beurteilt und mit einem Bußgeld belegt werden.

Diese Klarstellung traf das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Fall einer musikbegeisterten Familie, dessen Tochter täglich ca. eine Stunde Klavier spielen übte. Hiervon fühlte sich ein Nachbar gestört, sodass er an einem Sonntag die Polizei rief. Das zuständige Bezirksamt setzte daraufhin wegen eines vorsätzlichen Verstoßes gegen das Verbot, an Sonn- und Feiertagen Lärm zu verursachen, durch den jemand in seiner Ruhe erheblich gestört wird (§ 4 Landesimmissionsschutzgesetz – LImSchG Bln), eine Geldbuße fest. Der Einspruch hiergegen blieb in allen Instanzen erfolglos. Der vor dem Amtsgericht als Zeuge vernommene Polizeibeamte bekundete, dass er das von ihm wahrgenommene Klavierspiel wie der Nachbar als störend empfunden habe.

Auf die Verfassungsbeschwerde hob das BVerfG das Urteil nun auf und verwies die Sache zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurück. Die Richter begründeten ihre Entscheidung damit, dass das Urteil des Amtsgerichts den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletze, weil es das LImSchG in nicht verfassungsgemäßer Weise anwende. Bei der vom Amtsgericht vorgenommenen Rechtsanwendung sei nicht hinreichend erkennbar, wann das Musizieren in der eigenen Wohnung an Sonn- und Feiertagen eine “erhebliche Ruhestörung” im Sinne des LImSchG darstelle. Das Grundgesetz enthalte jedoch ein besonderes Bestimmtheitsgebot. Hierin werde der Gesetzgeber verpflichtet, die Voraussetzungen der Strafbarkeit oder Bußgeldbewehrung so konkret zu umschreiben, dass der Bürger erkennen könne, welches Verhalten der Gesetzgeber sanktioniere. Für die Rechtsprechung folge daraus, dass jede Rechtsanwendung verboten sei, die über den Inhalt einer gesetzlichen Sanktionsnorm hinausgehe. Im vorliegenden Fall gehe das Amtsgericht offenbar davon aus, dass bei verhaltensbedingten Geräuschimmissionen jeder verständige, nicht besonders geräuschempfindliche Mensch feststellen könne, ob eine erhebliche Ruhestörung vorliege. Es sehe daher im Ausgangsfall auf der Grundlage der Aussagen des Nachbarn und des hinzugerufenen Polizeibeamten eine erhebliche Ruhestörung durch das sonntägliche Klavierspiel als erwiesen an. Das Amtsgericht habe aber keinen Versuch unternommen, den normativen Gehalt des auslegungsbedürftigen Begriffs “erhebliche Ruhestörung” zu erfassen und dieses Tatbestandsmerkmal auch im Hinblick auf das Musizieren in der eigenen Wohnung begrifflich zu präzisieren. Die Entscheidung darüber, ob eine “erhebliche Ruhestörung” vorliege, sei vielmehr dem als Zeugen vernommenen Polizeibeamten überlassen worden. Diese Rechtsanwendung erhöhe aber die den Vorschriften anhafteden Ungewissheiten in einer den Anforderungen des Grundgesetzes nicht genügenden Weise (BVerfG, 1 BvR 2717/08).

Mitgeteilt von Rechtsanwalt Ralf Herren aus 50321 Brühl

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